New Israel Fund Schweiz
הקרן החדשה לישראל שוויץ

Ein Besuch in Hebron mit Breaking The Silence * 

Vor einer Tour mit Breaking The Silence (BTS) hatte ich mich bisher gescheut. Ich wollte mich nicht direkt mit der hässlichen Besatzung konfrontieren. Als sich anlässlich der internationalen Konferenz des New Israel Fund (NIF) die Gelegenheit bot, ergriff ich sie. Die Aktivistinnen und Aktivisten von BTS haben ein riesiges Wissen, das sie gerne teilen. 700 jährliche Touren verschaffen einen objektiven Eindruck.

Die Landschaft ausserhalb von Jerusalem und in den Hügeln um Hebron steht in krassem Widerspruch zur Realität des dortigen Alltags: Olivenhaine, Rebberge, kleine Wälder (gespendet von KKL) und die Wüste, die mir so gefällt.

Erster Halt Kirjat Arba, eine Siedlung vor Hebron. Am Rand der heruntergekommenen Stadt befindet sich ein Park, der Meir Kahane gewidmet ist. Der rassistische Extremist, der inhaftiert und dessen Partei (Kach) in Israel verboten worden war, wurde 1990 in New York ermordet. Kahane hatte die Palästinenser aus dem ganzen Gebiet von Grossisrael vertreiben wollen. In den Siedlungen in dieser Gegend gilt ein anderes Gesetz. Ein Gedenkstein erinnert an den Helden, Sticker verehren sein Erbe.

Ausserhalb des Parks befindet sich das Grab von Baruch Goldstein, der 1994 in der Höhle der Patriarchen ein Massaker unter muslimischen Gläubigen angerichtet hatte. Als sein Grab zu einem Wallfahrtsort für extremistische jüdische Nationalisten wurde, musste die Armee die Plattform um das Grab abreissen. Für Jigal Amir, den Mörder Itzhak Rabins, war die Beerdigung Baruch Goldsteins und die dort von Rabbinern gemachten Aussagen gemäss eigener Aussage prägend in seiner Radikalisierung hin zum Mord 1995.

Nächster Halt Hebron, neben der Höhle der Patriarchen, die für alle drei Weltreligionen von grosser Bedeutung ist. Während wir durch die leeren Strassen gehen, rufen uns einige der Soldat:innen und Siedler:innen zu, es seien alles Lügen, wir sollten uns von BTS nicht das Gehirn waschen lassen. Gleichzeitig beobachten wir, wie die Kinder der Siedler:innen den Soldat:innen Süssigkeiten und Eis bringen und mit ihnen plaudern.

Die Aufgabe der Soldat:innen ist in erster Linie, die Palästinenser:innen ihre Anwesenheit spüren zu lassen. Das geschieht mit Drohnen die über Hebron kreisen, mit nächtlichem Eindringen in Häuser. Die Palästinenser wissen nie, wann und wo es sie treffen könnte, sie fühlen sich konstant verfolgt.

Beim Checkpoint zur Shuhada Strasse, dem ehemaligen Gewürzmarkt von Hebron, deren Betreten für Palästinenser:innen seit dem Goldstein-Massaker 1994 verboten ist, wollen uns die Soldat:innen zuerst nicht passieren lassen. Gruppen von mehr als zehn Personen müssen ihre Ankunft im Voraus mit der Armee koordinieren. Das hatte BTS selbstverständlich gemacht. Ein Anruf beim Pikett-Anwalt löst das Problem. Reine Schikane.


Das Zentrum von Hebron ist eine Geisterstadt. In der grössten palästinensischen Stadt mit rund 200’000 palästinensischen Einwohnern stehen rund 30% der Häuser leer. In der Stadt leben 800 Siedler, an normalen Wochentagen befinden sich 600, an Schabbat und Feiertagen 900 Soldat:innen dort. Diese dienen der Sicherheit der Siedler, die in dieser Gegend als besonders gewaltbereit und extrem bekannt sind. Sie schikanieren die Palästinenser bei jeder Gelegenheit und stehen über dem Gesetz. Die Armee kann ihnen nichts anhaben, da sie – im Gegensatz zu den Palästinensern – israelischem zivilem Recht unterstehen. Verhaften darf sie nur die Polizei, die kaum je gerufen wird, da sie sowieso zu spät kommt. Siedler sind zudem die einzigen Zivilisten, die automatische Waffen tragen dürfen. In Israel ist das nicht erlaubt.

Letzte Station auf der Tagestour: Susiya in den südlichen Hügeln um Hebron ist ein Beispiel dafür, wie es in der Westbank vielen Palästinensern ergeht. Viele der jüdischen Siedler hier leben in Kleinstsiedlungen, die auch nach israelischem Recht illegal sind. Trotzdem sind solche illegalen Aussenposten nach ihrer Errichtung sofort an Strom, Wasser und Strassennetz angeschlossen. Ganz im Gegensatz zu den Palästinensern, die ohne Strom und fliessendes Wasser zurechtkommen müssen.

In Susiya besuchen wir den B’tselem **-Aktivisten Nasser Nawajah in seiner bescheidenen Hütte. Das Zuhause von Nasser und seiner Familie wurde bereits sieben Mal abgerissen. Eine Baubewilligung bekommt er nicht. Man will ihn dort weghaben.

Susiya liegt zwar nicht in der Feuerzone 918, das Schicksal der Familie von Nasser ist jedoch beispielhaft für das aller Familien von Masafer Yatta. Ein zehnminütiger Bericht des amerikanischen Senders MSNBC gibt einen guten Einblick (auf Englisch): https://www.youtube.com/watch?v=wHbrzt5hFOQ

Zurück in Tel Aviv, unter der erfrischenden Dusche erinnere ich mich daran, wie schwierig und teuer es für Nasser und seine Familie ist, zu Wasser zu kommen. Während ich den Staub und die belastenden Eindrücke des Tages von mir abwasche, leben sie tagtäglich diesen Albtraum. Trotzdem, meinte Tourguide Nadav, hätten sie nie daran gedacht, aufzugeben und weg zu ziehen. Das stimme ihn optimistisch. Angesichts der Aggression der Siedler, des Leids der palästinensischen Bevölkerung und der systematischen vom Staat Israel praktizierten Unterdrückung fällt es mir schwer optimistisch zu sein.

Bern, 18. Juli 2022 Rachel Halpern

*) Soldatenveteranen gründeten nach der Zweiten Intifada Breaking The Silence, um die israelische Öffentlichkeit mit der Realität des täglichen Lebens in den besetzten Gebieten vertraut zu machen. «Wir bemühen uns um eine öffentliche Debatte über den Preis, den junge Soldaten zahlen müssen, um tagtäglich die Zivilbevölkerung zu konfrontieren und ihren Alltag zu kontrollieren. Unsere Arbeit zielt darauf ab, die Besatzung zu beenden.»

https://www.breakingthesilence.org.il/

**) B’Tselem (seit 1989), biblisch „b'tselem elohim“ (nach dem Ebenbild Gottes), im Gleichklang mit der UNO Menschenrechtserklärung, dass alle Menschen Anspruch auf gleiche Behandlung haben. Unterstützt durch z.B. die Europäische Kommission, das Foreign and Commonwealth Office, das norwegische Außenministerium, die Ford Foundation. 1989 erhielt B’Tselem den Carter-Menil-Award für Menschenrechte https://www.btselem.org/